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Knüppel, Kunst und Knete

Wer hätte das gedacht? Im traditionell konservativen Texas bekommt man viel Kunst zu Gesicht

  • Jana Talke
  • Lesedauer: 3 Min.
Das Einkaufszentrum North Park in Dallas, hier bei der »Fashion's Night Out« 2012.
Das Einkaufszentrum North Park in Dallas, hier bei der »Fashion's Night Out« 2012.

Howdy aus Texas, liebe Lesende, meine Auswanderung vor mittlerweile fast sieben Jahren hatte ein paar böse Überraschungen für mich in petto. Dass an einigen abgelegenen Schulen in diesem Bundesstaat doch tatsächlich noch die Prügelstrafe gilt, entsetzte mich enorm, schienen mir doch die amerikanischen Lehrer so viel freundlicher als die deutschen. Aber vielleicht lächeln sie ja beim Hinternversohlen? Dass der Bundesstaat 2021 zu einem »open carry«-Staat wurde, also quasi jeder Erwachsene seine Waffe offen mitführen darf – und das sogar ohne Zulassung –, ließ mich allerdings träumen, dass die Prügelstrafe statt für Schüler doch lieber für Politiker eingeführt würde. Und dass man dann sonntags vor 12 Uhr mittags per Gesetz keinen Alkohol kaufen kann, weil diese Zeit ja für die Kirche bestimmt sei, verwirrte mich komplett. Hatte nicht der Mann, dessentwegen sich jeden Sonntag Millionen Texaner in die Kirche schleppen, Wasser in Wein verwandelt? Solcher Wunderleistungen sollte man ständig gedenken, auch – oder gerade – am Sonntagmorgen. Und dann ist es auch noch verboten, aus dem ersten Stock eines Hotelbalkons auf Bisons zu schießen, überlegen Sie es sich daher lieber dreimal, ob sie hierherkommen, liebe Lesende!

Talke talks
News aus Fernwest: Jana Talke lebt in Texas und schreibt über amerikanische und amerikanisierte Lebensart.

Umso unerwarteter kam mir dann die Offenbarung, dass Texas ein Kunstmekka ist. Ja, genau, ausgerechnet das Texas mit den Bisons, Kühen und Kuhjungs hat ausgezeichnete Museen, Galerien und zeitgenössische Skulpturen, die uns Dichter-und-Denker-Deutsche neidvoll erblassen lassen. Vor allem in der Region, in der ich lebe, dem Dallas-Fort-Worth-Metroplex, kurz DFW, ist kunsttechnisch übertrieben viel los (Houston und Austin sind auch nicht schlecht, aber sollen deren Kolumnisten sie doch anpreisen). Der Kunstdistrikt von Dallas ist der größte der USA. Jedes Wochenende scheint eine Kunstmesse, ein Kunstfestival, ein Kunstball mit Versteigerung oder eine feierliche Stipendiumsverleihung für Künstler stattzufinden. Diese Events ereignen sich natürlich nie sonntagmorgens, sondern immer am Abend zuvor – denn Wein, der sogenannte Jesus Juice, steigert bekanntlich sowohl die Umsätze als auch die Kunstkenntnisse.

Wie konnte eine kulturgeschichtlich irrelevante Region, die erst Mitte des 19. Jahrhunderts überhaupt gegründet (oder besser: erobert) wurde, in den vergangenen Jahrzehnten so viel erreichen? Wie bei allem in Amerika ist die erste Antwort auf jede Frage: Geld. DFW ist durch Ölhandel extrem wohlhabend geworden und die niedrigen Steuern machen diesen Staat heutzutage für Investoren sehr attraktiv. Zweite Antwort (auf fast alles auf der Welt): Nationalsozialismus! Der üble Kunstgeschmack der Nazis, gepaart mit ihrem Rassismus, führte dazu, dass viele wichtige europäische Kunstwerke in die USA verkauft wurden. Diese bereichern nun texanische Weltklassekollektionen wie die des Kimbell Museums, des Modern Museum of Art in Fort Worth und des Dallas Museum of Art.

Kohle und Geschäftssinn hin oder her, ohne die Kunstliebe und das Mäzenatentum der Texaner wäre DFW bei weitem nicht so spannend, wie man am Beispiel der Kunst im öffentlichen Raum sehen kann. So strotzt das edle Einkaufszentrum North Park in Dallas vor Kunstwerken von Persönlichkeiten wie Roy Lichtenstein und Andy Warhol. Das einzig Wertvolle an der Europapassage in Hamburg dagegen ist die immergleiche Weihnachtsdeko! Um die hochpreisige Shopping-Kunst zu schützen, wird die Mall in Dallas scharf bewacht, und Waffen für Besucher sind ausnahmsweise mal verboten. Kunst bietet einem nicht nur intellektuelle Stimulation, sondern auch Schießpausen.

Natürlich ist die texanische Kunstszene nicht perfekt: Die Opern sind gerade einmal befriedigend, das hiesige Ballett ist mittelmäßig, da wurde ich in meiner deutschen Vergangenheit zu sehr vom amerikanischen Hamburger John Neumeier verwöhnt. Viele Kunstwerke in trendigen Galerien sind hoffnungslos überteuert und überhyped. Aber DFWs wertvolle Kunstschätze und kunstfreundliches Klima machen den Texasbesuch auf jeden Fall lohnenswert. Also, kommen Sie vorbei – wenn Sie aufs Büffelschießen aus dem ersten Stock verzichten können.

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